Von Lam auf den Osser
Heidelbeeren und Glimmerschiefer

Unser erster kleiner Urlaub im Bayerischen Wald ist der Corona-Krise und den geschlossenen Grenzen geschuldet. Der führte uns vom äußersten Süden Bayerns, dem Berchtesgadener Land, bis in den Norden des Bayerischen Waldes in die Ökoregion Arrach, Lam und Lohberg. Wir benötigen für die 222 Kilometer über Landstraße ganze 3,5 Stunden. An die Adria, etwa nach Grado, ist die Strecke mit 365 Kilometern zwar deutlich länger, die Fahrt nimmt aber lediglich 45 Minuten mehr Zeit in Anspruch. Warum also in den Norden, in den Bayerischen Wald fahren, zumal die Berge dort 1000 Meter niedriger sind und das Berchtesgadener Land im Alpennationalpark liegt. Wir waren neugierig darauf, was uns hier erwartet. Von den Alpen in den Bayerischen Wald. Ist der Wald wirklich so einsam und tief, wie es uns die Klischees glauben machen wollen?

Camping in Corona-Zeiten
Spontan entschieden wir uns für die Gemeinde Lam mit knapp 2900 Einwohnern und einem kleinen einfachen Campingplatz mit 30 Stellplätzen als Domizil für unseren autarken Faltcaravan, ein französisches Modell, dessen in Ostdeutschland weitverbreiteter Vorläufer in Campingkreisen bis heute als Klappfix bekannt ist. Mundschutz und eine eingeschränkte Nutzung von Sanitär- und Duschräumen waren in den Pfingstferien immer noch obligatorisch, worauf uns der Betreiber Hubert Falkner bei der Buchung hinwies. Am Platz selbst war davon nichts zu spüren, es war ein reges Kommen und Gehen bei wechselhaftem Wetter. Bei der Anfahrt führte uns „google“ auf den letzten Kilometern über kleine Nebenstraßen nach Bad Kötzting hinein in den Bayerischen Wald, einer unerwartet reizvollen, hügeligen, waldreichen und einsamen Landschaft, die wir so nicht erwartet hatten. Die Gemeinde Lam liegt an den Hängen des Großen und Kleinen Ossers, die bis zum Tal hinab zu dem kleinen Flüsschen „Weißer Regen“ reichen.
Ein malerischer Marktplatz

Im Ort Lam selbst fallen uns viele leerstehende Geschäfte auf. „In direkter Nähe zu unserem Campingplatz hatten wir früher einen Metzger, einen Bäcker und ein Einkaufsmarkt. Der kleine Lebensmittelladen an der Ecke neben der Eisdiele schließt in diesen Wochen auch für immer“, erzählt Hubert Falkner. Idyllisch gelegen, mit Mariensäule, Maibaum und etlichen gut geführten Gaststätten ist hingegen der Marktplatz oben an der Kirche. Hier kommt Urlaubsstimmung auf und in einigen Kilometern Entfernung sind die Osser-Wiesen und der Gipfel des Kleinen Ossers zu sehen, zu denen wir am nächsten Tag aufbrechen.
Vom Sattel auf den Osser

Etwa fünf Kilometer fahren wir zum Wanderparkplatz Sattel auf 933 Höhenmetern gelegen, von wo wir unsere kleine Tour mit etwa drei Stunden Gehzeit starten. Insgesamt sind wir fünf Stunden unterwegs, denn mit knapp 60 Jahren steht nicht die Schnelligkeit, sondern der Genuss der Wanderung im Vordergrund, ob in den Alpen oder im Bayerischen Wald. Zudem lassen uns die Landschaft, die Flora und Fauna, die ganz besonderen Natureindrücke und weite Ausblicke immer wieder innehalten, und am Ende summieren sich über 100 Fotos auf unserem Smartphone mit bleibenden Eindrücken.

Der Weg führt uns zunächst auf steinigem Boden durch den Fichtenwald, bevor dann immer mehr Blaubeersträucher den Waldboden bedecken, der ab 1000 Höhenmetern immer lichter wird. In dieser Dichte und Vielzahl haben wir die Heidelbeeren noch nie erlebt, die jetzt im Juni nicht blau, sondern noch grün sind. Der Blick ins Tal gibt über viele Kilometer hinweg den Blick auf den Bayerischen Wald frei, der gemeinsam mit dem Böhmerwald, dem tschechischen Nationalpark Šumava, das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas bildet.

Naturgewalten und weite Landschaften
Nach etwa einer Stunde erreichen wir die „Osserwiese“, eine bis vor 70 Jahren bewirtschaftete Almwiese, deren „offener Charakter“ nach dem Bayerischen Naturschutzgesetz durch Pflegemaßnahmen erhalten wird. Darüber dürften sich vor allem die Wanderer freuen, denn so bleibt die Aussicht auf das Tal und hinüber bis zum Großen Arber erhalten und damit der naturgewaltige Eindruck von der Weite der Landschaft. Zusätzlich ragen noch steile Glimmerschieferfelsen und Blöcke einige Meter auf, wie wir es in den Alpen nur bei Felsabstürzen kennen. Der Glimmerschiefer aber ist selbst für den Bayerischen Wald eine Besonderheit. Er soll in dieser eindrucksvollen Formation nur auf dem Osser zu finden sein.
Der Große Arber winkt von Ferne

Die Heidelbeer- und Grasflächen ziehen sich nahezu bis zum Kleinen Osser hinauf, der selbst als markanter Felsen aus dem Wald ragt und nur mit etwas Kletterei zu besteigen ist. Dann ist es geschafft, mit 1266 Metern zählt der Kleine Osser zu den 20 höchsten Gipfeln des Bayerischen Waldes. Mit 1293 Metern ist der „Große Osser“ nur unwesentlich höher und in weiteren 30 Minuten gut zu erreichen. Eindrucksvoll sind beide Erhebungen, ragen sie doch hoch über den Wald heraus und bilden auf ihren letzten Metern große Felsformationen. In etwa 10 Kilometer Luftlinie ist der höchste Gipfel, der große Arber mit 1456 Metern Höhe zu sehen. Er ist mit einer Bergbahn erschlossen und zählt zu den touristischen Hotspots der Region.
Viel Betrieb auf dem Großen Osser

Aber auch auf dem Großen Osser herrscht am zweiten Pfingstwochenende bei bestem Wetter großes Gedränge. Die Zahl der Gäste auf dem Gipfelrestaurant, dem Osser-Schutzhaus, zählt sicher Hunderte. Der Gastgarten ist eng besetzt, auch wenn man um etwas Abstand bemüht ist. In der Hütte selbst und bei der Essensausgabe gilt die Maskenpflicht. Die Stimmung aber ist an diesem Grenzberg gut und die Küche ist auf den Ansturm bestens vorbereitet. „An schönen Wochenenden ist ein hohe Gästefrequenz ganz normal,“ erzählt Hüttenwirt Georg Hatzinger. Die Zimmer sind bis August geschlossen. „In Corona-Zeiten sind wir damit auf der sicheren Seite. Hoffentlich entspannt sich die Situation bis August wieder und wir können wieder Übernachtung mit Frühstück anbieten“, hofft Hatzinger.

Das Osser-Schutzhaus zählt 32 Betten in Vier- und Acht-Bettzimmern und ein Matratzenlager. Quer über das Gipfelplateau verläuft die deutsch-tschechische Grenze. Das Versprechen mit einer „Aussicht bis zu den Alpen“ scheint dennoch etwas gewagt. Vielleicht bei starkem Föhnwetter und Vollmond, denke ich für mich. Auch hier ragen mächtige Schieferblöcke gleich hoher Schneeverwehungen auf dem Gipfelkamm entlang der Grenze. Wir müssen das einfach noch fotografisch festhalten und übertreten für einige Meter unerlaubter Weise die Grenze, bevor wir uns wieder auf den Rückweg in das Tal, zu unserem Domizil Campingplatz machen. Hier erfahren wir, dass sich unser Vermieter, Hubert Falkner, über Jahrzehnte hinweg im Verein für das Schutzhaus engagiert hat und plaudern vor unserer Abreise noch ein wenig.
Vom Zelt zum Luxus-Wohnmobil

Die Mutter hat in den 60-Jahren das Anwesen als kleinen Zeltplatz mit elf Stellplätzen gegründet. 1984 übernahm dann Hubert die Geschäfte und kümmert sich seit seiner Rente ganztags um die Betreuung der Gäste. „Heute reist jeder zweite Gast mit einem großen Wohnmobil an, und die bleiben meistens nur zwei Tage“, erzählt er und fügt hinzu: „die sehen sich die Landschaft im Durchfahren an.“ Etwas länger am Ort blieben die Gäste mit Wohnwagen. Stark gestiegen seien die Anfragen über Buchungsplattformen. „Da bin ich erst seit zwei Jahren zu finden. Die Nachfrage dadurch ist hoch.“ Vielleicht liegt es an den günstigen Preisen. Denn wo sonst ist eine Übernachtung für 18 Euro inklusive Stellplatz und Personen möglich?
Unser kleines Fazit:

Die Alpen und den Bayerischen Wald kann man nicht wirklich vergleichen, sollte man auch nicht. Jede Region überzeugt für sich und bietet viele Urlaubsmöglichkeiten. Die Alpen freilich erschließen ab 1500 Höhenmeter nochmal die ganz eigene Welt des Hochalpinen und erstrecken sich über fünf Länder. Der Bayerische Wald könnte mit einer besseren Erschließung in Richtung Osten (Tschechien) deutlich an Format gewinnen. Bei unserer kleinen Reise hatten wir den Eindruck, dass der Eiserne Vorhang noch nicht ganz gefallen ist.
Um zur Galerie zu gelangen, klicken Sie einfach auf eines der Fotos. Fotos: Christine & Gerd Spranger