Können Hotellerie und Gastronomie die Krise überleben?

Hilfen reichen nicht aus 
BGL-Wirtschaftsservice sieht deutlichen Verbesserungsbedarf  
Altersversorgung für den Betrieb opfern? 

Wenn sich der Morgennebel auflöst, die Sonne uns einen milden Novembertag beschert, scheint die Welt in Ordnung zu sein. Lange Spaziergänge an der frischen Luft stärken das Immunsystem und wir genießen die Ruhe um uns herum. Das ist die Lebenswirklichkeit jener, die etwa bereits ihre Rente beziehen oder über ein sicheres Einkommen verfügen. Für alle anderen, Selbständige wie Hoteliers, Gastronomen und Einzelhändler in den Innenstädten, weht eher ein eiskalter Novemberwind, der bis in die Glieder fährt, einen selbst nachts noch frösteln lässt.

Dr. Thomas Birner:
„Hilfen gehen an vielen Betrieben vorbei“

Dr. Thomas Birner vom Wirtschaftsservice BGL

„Wir helfen der Wirtschaft, den Betroffenen“, war das politische Versprechen für den zweiten Lockdown in Deutschland „und zahlen 75 Prozent des Novemberumsatzes.“ Dr. Thomas Birner, Geschäftsführer des Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice, ist zwar sehr froh, „dass die Unternehmen des Berchtesgadener Landes finanzielle Unterstützung für die Betriebsschließungen speziell in den beiden Oktoberwochen und auch für den November erhalten sollen. Gleichzeitig sieht er erheblichen Verbesserungsbedarf. „Es darf keine Beruhigungspille sein, die womöglich mit einem bösen Erwachen enden könnte und letztlich an vielen Betrieben vorbeigeht. Vertieft hat sich dieser Eindruck bei ihm in vielen Gesprächen mit Betroffenen.

„Null Euro von Null Umsatz bleibt Null“

Zu der Zwangsschließung von Hotellerie und Gastronomie merkt er an: „Bei einem stabilen Geschäft aus dem Tourismus mit einer starken Sommer- und Herbstsaison, wie wir es in den letzten Jahren hatten, brauchen Hotellerie und Gastronomie eine Pause. Es stehen jährlich Investitionen in Renovierung und Modernisierung an, Überstunden wurden abgebaut. Darum war der November meistens der Monat der Betriebsruhen. Daher war der Umsatz in dieser Zeit bei vielen Betrieben gleich Null. Und das soll nun Grundlage der Hilfen sein“, hinterfragt Dr. Birner kritisch. „Ein Unternehmen, das im November 2019 geschlossen hatte, kann also keine Bundeshilfen für den November 2020 beantragen. Und das sind viele. Das bedeutet, es kann auch keine Bayerische Hilfe für den Oktober beantragt werden, denn diese wird nur auf eine gewährte Bundeshilfe aufgesetzt. Denn 38% von Null sind trotzdem Null.“ Zudem sei dieses Jahr ganz anders zu werten.

„Besser den Jahresumsatz heranziehen“

„Durch den Verlust des Oster- und Pfingstgeschäftes durch den ersten Lockdown im Frühjahr, wäre die Branche auf das Geschäft im Oktober und November dringend angewiesen gewesen.“ Deshalb hält er auch das jüngste Versprechen, den Ausfall im Oktober, der die Betriebe durch die zweiwöchige Betriebsschließung aufgrund der Allgemeinverfügung des Landratsamtes in Berchtesgaden getroffen hat, mit 38 Prozent zu vergüten, für nicht sachgerecht. „Sinnvoller wäre es, einen jährlichen monatlichen Durchschnittsumsatz als Basis zu nehmen“, regt der Geschäftsführer des BGL-Wirtschaftsservice an.

„Der Handel geht leer aus“

Bei ihm häufen sich die Anrufe notleidender Unternehmen. „Der Handel in den Innenstädten geht bei all dem leer aus. Es fehlen zudem die Gäste und selbst die Besucher aus dem Salzburger Land“, merkt er an. „Was die Zulieferfirmen angeht, so müssen sie nachweisen, dass sie 80 Prozent ihres Umsatzes in der Gastronomie und Hotellerie tätigen, um hier einen finanziellen Ausgleich zu erwirken, und das wird in den meisten Fällen schwer fallen“, so Dr. Birner. „Im Einzelhandel greift diese Definition überhaupt nicht, da man es dort mit Endkunden zu tun hat, wo ein Nachweis, ob der Kunde ein Urlaubsgast oder Einheimischer ist, ohnehin nicht geführt werden kann.“ Er hofft, „dass das Programm noch nachgebessert wird, damit es auch unseren Unternehmen in dieser schweren Zeit tatsächlich Unterstützung bringt.“ Auch verweist er darauf, dass die Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice GmbH bei der Gestaltung von Förderprogrammen mit Expertise zur Verfügung steht, um gerade solche Aspekte aus der Praxissicht mit einzubringen.

Bernhard Holleitner:
„Steuerberater als Erfüllungsgehilfen der Unternehmen“

Steuerberater Bernhard Holleitner

Blickt man hinter die Kulissen, sind aktuell ebenso die Steuerberater gefordert, wie etwa Bernhard Holleitner aus Berchtesgaden. „Wir sind die Erfüllungsgehilfen der Unternehmer. Über uns müssen alle Anträge gestellt werden, und bis heute sind die Regelungen dafür noch völlig unklar.“ Das Problem sieht er dabei weniger im November. „Viele meiner Kunden aus der Hotellerie hätten im November so und so geschlossen“, konstatiert er. Doch in der Gastronomie stelle sich die Situation anders dar. Auch sei der frühzeitige Lockdown im Oktober anders zu bewerten. „Es gab über Nacht eine Abreiseverpflichtung für die Gäste und der entstandene Schaden war direkt.“

„Wann und wie greifen die Hilfen?“

Das ganze Thema zu den Hilfen rund um den ersten und zweiten Lockdown ist komplex, so der Steuerberater. „Anspruch auf Überbrückungshilfe etwa besteht von Juni bis Dezember. Bei der außerordentlichen Wirtschaftshilfe ist der November des Vorjahres maßgebend, doch die genauen Regelungen dazu sind noch nicht festgelegt. Anträge dazu können wohl erst Ende November gestellt werden und andere Unterstützungsmaßnahmen wie Überbrückungshilfen und Kurzarbeitergeld werden angerechnet. Die außerordentlichen Wirtschaftshilfen für den Oktober schätzt Steuerberater Bernhard Holleitner als „nicht sachgerecht“ ein, denn sie setzen auf einen schwachen Novemberumsatz auf. Er fordert, dass der Umsatz vom Oktober 2019 als Grundlage verwendet wird. Für die Gastronomie gäbe es in all dem noch eine gute Nachricht im Hinblick auf die Förderung. „Die Kosten für den Wareneinsatz werden nicht in Abzug gebracht.“ Das eigene Unternehmerhonorar hingegen sei auf diesem Wege nicht förderbar, da es in der Regel keinem sozialversicherungspflichtigen Einkommen entspreche.

Thomas Riedl:
„Hoher Aufwand für die Sicherheit der Gäste“

Johannes Hofmann (Dehoga) und Thomas Riedl (Schwabenbräu) kritisieren das Handeln der Politik.

Einer der Betroffenen der Lockdowns ist Thomas Riedl, seit 23 Jahren betreibt er die Traditionsgaststätte Schwabenbräu in Bad Reichenhall. „Bis 2019 hatten wir 42 Angestellte im Betrieb, nach dem ersten Lockdown reduzierten wir auf 35“, erzählt er. Um den Schaden aus dem ersten Lockdown aufzufangen, habe er bereits einen sehr hohen fünfstelligen Betrag privat in das Geschäft investieren müssen. „Allein die Investitionen, um den Betrieb mit den ganzen Sicherheitsmaßnahmen, einem ausgereiften Hygienekonzept über den Sommer hinweg aufrecht halten zu können, mussten wir zusätzlich 10.000 Euro aufwenden. Wir haben den Einlass kontrolliert, um die Angaben der Daten unserer Gäste zu gewährleisten, sowie die Einhaltung der Maskenpflicht ‚bis zu den Tischen‘. Zusätzlich noch Hygienemaßnahmen wie das Desinfizieren der Hände und der Tische nach jedem Gästewechsel, 1000 Kugelschreiber haben wir über die Monate hinweg benötigt, die Servietten wurden nicht aus dem Krug entnommen, sondern in eigenen Taschen mit dem Besteck für jeden Gast bereitgestellt,“ zählt er die zusätzlichen Maßnahmen auf. Umso mehr ärgert es ihn, dass jetzt ausgerechnet die Gastronomie ein Bauernopfer der Krise ist, die sich besonders um Sicherheit bemüht hat. „Wir haben glücklicherweise ein tolles Team in Küche und Service, alle haben sich engagiert und aktiv mitgearbeitet und wir waren auf einem guten Weg, unsere Verluste wieder etwas auszugleichen.“

„Jede Hoffnung auf Gewinn begraben“

Dann aber trat zum 14. Oktober über Nacht die Allgemeinverfügung des Landratsamtes für das Berchtesgadener Land in Kraft. „Unser Gäste mussten abreisen, einige wichen in den Chiemgau aus, und auch die Gastronomie wurde erneut zugesperrt. Das hat jede Hoffnung begraben, die Krise halbwegs gut zu überstehen. Bleibt auch der Dezember zu, so werden wir wohl nur 50 Prozent unseres Jahresumsatzes schaffen“, prognostiziert Thomas Riedl. „Und ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass mit dem Aufsperren des Betriebes das Geschäft gleich wieder in vollem Umfang anlaufen wird“, fügt er an.

Johannes Hofmann:
„Die meisten Betriebe werden nicht überleben“

Johannes Hofmann, Kreisvorsitzender des Dehoga Bayern, sieht in der Traditionswirtschaft „Schwabenbräu“ einen gesunden, wirtschaftlich starken Betrieb. „80 Prozent der Gastronomie aber sind nicht so gut aufgestellt. Für sie ist der zweite Lockdown trotz Fördermaßnahmen existenzbedrohlich“, schätzt er die Lage der Branche ein. „Es kann auch nicht angehen, dass Wirte zum Teil ihre Altersversorgung, häufig die Lebensversicherung, aufkündigen müssen, um die staatlich verordneten Betriebsschließungen zu überstehen.“ Er begrüßt etwa die Entscheidung des Tourismusministerium in Wien. Als gute Geste erhalte das Servicepersonals einen steuerfreien Zuschuss von hundert Euro für entgangene Trinkgelder. „Ein zweites Desaster wie der brutale Lockdown im Berchtesgadener Land vom 20. Oktober ist für die Branche nicht akzeptabel“, so Hofmann. „Wir brauchen eine gewisse Vorlaufzeit, Planungssicherheit und dann eine Garantie, dass die Betriebe offen bleiben. Unsere Gäste anhand von steigenden Infektionszahlen erneut nach Hause zu schicken ist undenkbar“, mahnt er an.

„Sieben Tage die Woche und ein langer Arbeitstag“

Thomas Riedl sieht die Branche doppelt betrogen. „Wir selbst – meine Frau Ruth und ich – arbeiteten vom 18. Mai bis zum 14. Oktober täglich bis zu 16 Stunden durch. Wir hatten lediglich insgesamt zwei Tage frei. Wir tragen das gesamte unternehmerische Risiko, alle Investitionen und auch die Beschäftigung von 35 Mitarbeitern. Nicht umsonst werden wir als eine der tragenden Säulen im Geschäft mit dem Tourismus angesehen. Es fehlt die Wertschätzung für unsere geleistete Arbeit. Es wäre höchste Zeit, uns mit dem halben Mehrwertsteuersatz weiter zu helfen. Die so großzügig in Aussicht gestellten 75 Prozent an staatlicher Hilfe wirken sich am Ende zudem wieder voll auf die Einkommenssteuer aus. Dann müssen wir davon wieder bis zu 50 Prozent an Steuern zurück bezahlen.“

Kritisch sei die Situation vor allem auch für das Personal. „Küche und Service haben zusätzliche Einnahmen aus dem Trinkgeld, was ihnen jetzt fehlt und zu ihrem Einkommen dazu zählt, weil in der Gastronomie bei weiten nicht die Nettoeinkommen erzielt werden wie im Handwerk oder in der Industrie. Davon aber gibt es dann über das Kurzarbeitergeld nur 60 bis 70 Prozent. Die Fixkosten aber laufen weiter,“ das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Dehoga-Bayern kündigt Widerstand an

Im Hinblick auf den Lockdown und den Entwurf eines neuen Infektionsschutzgesetzes kündigt der Dehoga-Bayern seinen entschlossenen Widerstand an. Das geplante Gesetz sei verfassungswidrig. Er sehe zwar die Untersagung oder Beschränkung des Betriebs gastronomischer Einrichtungen sowie die Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungen vor, Entschädigungen hierfür seien jedoch nicht vorgesehen. Hier fehle schlichtweg die gesetzliche Regelung des finanziellen Ausgleichs für Unternehmen, wenn ihnen staatlicherseits die Geschäftsgrundlage entzogen wird.

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