Branchenvertreter mit klarem Statement Wirtschaftshilfe BGL zeigt sich zögerlich

Wie hoch ist der Schaden für den Tourismus mit den betroffenen Branchen von Hotellerie, Gastronomie, Handel und Freizeiteinrichtungen – von den Thermen bis zu den Bergbahnen – nach sechs Monaten Stillstand. Wie stellt sich die wirtschaftliche Lage im Landkreis dar, wollten wir als Redaktion wissen. Erster Ansprechpartner in der Region ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landkreises.
Sie unterstützt nach eigener Aussage mit einem Team von elf Mitarbeitern „Unternehmerinnen und Unternehmer umfassend, individuell und vertraulich“. Vor vier Wochen baten wir um aktuelle Zahlen, bis heute könne man dazu keine Angaben machen, „man wisse es ganz einfach nicht, arbeite aber daran“, ließ Geschäftsführerin Dr. Anja Friedrich-Hussong ausrichten. Jetzt steht endlich ein Termin fest. Wir haben uns vorher bereits umgehört.
Keiner nennt das Ausmaß
der Kollateralschäden
Interessiert hätte uns, wie hoch der Wirtschaftseinbruch für den Landkreis im Jahr 2020 ausfällt. Deutschlandweit sollen es fünf Prozent gewesen sein, in unserer vom Tourismus geprägten Region dürfte er höher ausfallen. Nach dem Wegfall des Weihnachtsgeschäftes bleiben im neuen Jahr für viele Unternehmer die Türen geschlossen. Sie dürfen nicht aufsperren, nicht vermieten und auch keine Gäste befördern oder bewirten. Ein Jahresumsatz von 487 Millionen Euro im Jahr 2019, laut Studie des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes für Fremdenverkehr an der Universität München (dwif), zeigt die Bedeutung der Branche für das Berchtesgadener Land. Tourismusmanagerin Dr. Brigitte Schlögl bezifferte den Umsatzausfall für den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 bereits mit rund 50 Millionen Euro für den Landkreis.
Einbruch von 36 Prozent

„Ein überaus starker Sommer verhinderte zwar das Schlimmste“, bekennt Dehoga-Kreisvorsitzender Johannes Hofmann, „die Reisen ins Ausland waren ja nur erschwert möglich, doch die Einbrüche im Landkreis liegen zwischen 16 und 36 Prozent, je nach Region.“ So verlor Berchtesgaden im Jahr 2020 knapp 370.000 Übernachtungen und Bad Reichenhall mit Bayerisch Gmain 353.000 Übernachtungen. Für Bad Reichenhall aber bedeutet dies bei insgesamt nur 958.000 Nächtigungen ein Minus von 36 Prozent. Die fünf südlichen Landkreisgemeinden brachten es 2019 auf 2,27 Millionen Nächtigungen. Dazu verzeichnete der Landkreis jährlich noch knapp sechs Millionen Ausflugsgäste, die seit Oktober 2020 weitgehend ausbleiben. Je Tagesgast wird ein Umsatz von 24,80 Euro zugrunde gelegt.
Ein aktuelles pdf dazu hier: dwif-wirtschaftsfaktor-tourismus-bgl
Rücklagen aufgebraucht –
Griff nach der Altersvorsorge

Wie hoch der angerichtete Schaden dabei ist, kann auch die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Berchtesgadener Landes aktuell nicht benennen. Wie viel Unternehmerinnen und Unternehmer haben ihre Rücklagen aufgebraucht, teilweises sogar ihre Altersvorsorge investiert? Wie viele „arbeitslose Selbständige“ zählen wir im Landkreis? Wie viele Fachkräfte wenden sich von der Branche ab? Zu all dem gibt es keine Angaben und gerade sie wären zur Beurteilung der Lage wichtig. Erschwerend wirken sich darüber hinaus die verzögerten Hilfen aus. „Erst wenn klar ist was bei den Betrieben ankommt, kann man Bilanz ziehen und das kann noch dauern“, gibt Johannes Hofmann zu denken.
Wirte leben von Hartz IV
Tourismus ohne Zukunft

Er macht sich Sorge um die Zukunft der Branche: „Ich kenne erste Wirte die Hartz IV beziehen und erste Köche und Servicekräfte die in die Verwaltung, das Handwerk oder in die Dienstleistungsbranche wechseln.“ Noch vor einem Jahr zeichnete sich die Tourismusbranche durch Innovation, Internationalität, Wachstum und einen guten Ruf aus. Das ist jetzt nachhaltig vorbei, „wer will in einer unsicheren Branche noch seine berufliche Zukunft investieren?“ fragt der Dehoga-Kreisvorsitzende. Selbst Landrat Bernhard Kern, der die negativen Auswirkungen für das Berchtesgadener Land fürchtet, zeigt sich laut seiner jüngsten Pressemeldung „fassungslos über die jüngsten Beschlüsse der Staatsregierung“, sieht die Belange des Landkreises nicht berücksichtigt.
Wo bleiben
die Gelder und Hilfen?
Zu der wirtschaftlich angespannten Situation der Branche kommt noch die schleppende Auszahlung versprochener Hilfen. Hannes Lichtmannegger vom Hotel Rehlegg in der Ramsau, und mit ihm auch alle anderen betroffenen Unternehmen im Landkreis, können erst jetzt im März die Oktoberhilfe beantragen. „Und dabei haben wir aufgrund der Zwangsverordnung des Landkreises über Nacht bei Vollbelegung alle Gäste nach Hause schicken müssen“, erinnert der Hotelier. Für den gesamten Zeitraum von Oktober bis November seien bislang nur 150.000 Euro Überbrückungshilfe geflossen, bei einem Umsatzausfall von zwei Millionen Euro.
Nicht jeder
bekommt einen Kredit

“Die Hilfen für November wurden erst im Februar ausbezahlt und für Dezember und Januar sind ebenfalls noch keine Gelder angewiesen“, ergänzt er. Zudem müsse er als Unternehmer das Kurzarbeitergeld für die Angestellten am Monatsanfang ausbezahlen, bekommt es aber erst drei, vier Wochen später wieder erstattet, abzüglich des Arbeitgeberanteils. „Ich schätze mich heute glücklich, dass ich sofort das Gespräch mit meiner Hausbank gesucht habe und sie mir für diese schwere Zeit einen großzügigen Kredit gewährte. Den muss ich natürlich wieder zurückzahlen, größere Investitionen in den Betrieb sind damit für die nächsten Jahre erst einmal gestoppt“, bekennt Hannes Lichtmannegger. Nicht alle Hoteliers und Gastronomen dürften in dieser glücklichen Lage sein. „Bei Pachtbetrieben oder jungen Unternehmen wird es nur bedingt Kredite geben, um sich über diese Monate zu retten“, räumt Johannes Hofmann ein. „Die Situation vieler Betriebe wird zunehmend äußerst kritisch, weder ein Aufatmen durch Umsätze während der Weihnachtszeit, noch die Winter- und Skisaison konnten die schreckliche Situation in den Betrieben verbessern“, führt er in einem persönlichen Schreiben als Dehoga-Kreisvorsitzender an den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder aus.
Klare Ansage der Bürgermeister
An ihn wandten sich bereits am 15. Februar alle fünf Bürgermeister des südlichen Landkreises sowie Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender des Zweckverbandes Tourismusregion Berchtesgaden- Königssee, und die Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen und vom Markt Oberstdorf. Sie bezeichnen den Tourismus in der Alpenregion für eine stabile Wirtschaftslage als unverzichtbar und warnen vor der Abwanderung von qualifizierten Fachkräften, denn „die Qualität in den touristischen Betrieben hängt stark von geeignetem Personal ab.“ Zudem „stößt eine mangelnde Planungsperspektive Gäste ab. Buchungen erscheinen unsicher und werden vermieden.“
Nichts für Ferienwohnungen
Sie appellieren bereits im Februar an den Ministerpräsidenten Markus Söder, Beherbergungsbetriebe, Gastronomie und Ausflugsziele gleichzeitig zu öffnen, denn „sonst verliert der Aufenthalt in der Urlaubsregion zu stark an Attraktivität.“ Ein in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommener Aspekt der Lockdowns ist die Schließung von nichtgewerblichen Privatvermietern und Ferienwohnungen. Die Bürgermeister treten auch für sie ein. „Sie zahlen wie jeder andere Betrieb Steuern und Gebühren, erhalten aber trotz großer Umsatzeinbußen keine finanziellen Hilfen.“