Die wilden Jahre von Bad Reichenhall

Tanzlokale, Alleinunterhalter und Ensembles prägten die Zeit

Bad Reichenhall war Ende der 60er- bis weit in die 80er-Jahre hinein bekannt für seine Tanzlokale mit Livemusik. Nicht nur der hohe Anteil an Kurgästen, denen damals vorwiegend die „Offene Badekur“ verschrieben wurde und die in vielen Kurheimen, Pensionen oder bei Privatvermietern logierten, bestimmte die Szene. Es reisten auch viele Tanzfreudige eigens an, sogar aus Niederbayern oder München. Bad Reichenhall hatte sich in der Szene einen guten Namen gemacht, war bis weit über die Grenzen hinaus bekannt. Begünstigt hatte diese Entwicklung ein „Casinobus“, der seine Kunden kostenlos mehrmals wöchentlich nach Bad Reichenhall fuhr. Neben dem Spiel im Casino, nutzten viele die Gelegenheit zu einem Besuch der Tanzlokale.

Seit 60 Jahren kennt er die Szene

Ein Kenner und Akteur dieser Zeit ist Martin Koch (78), der von 1969 bis 1980 selbst wöchentlich sechsmal als Alleinunterhalter auftrat und in den Folgejahren die Szene mit einem eigenen Tonstudio begleitete und weiterhin bei besonderen Veranstaltungen zu hören war. Die Redaktion hat sich mit ihm getroffen, um mehr über ihn und „seine Zeit“ zu erfahren.

Martin Koch und sein Equipment für stimmungsvolle Abende mit Musik und Gesang mit Gesangsanlage, Rythmusgerät, Orgelverstärker, Elektronik sowie die gesamte Verstärkeranlage und Effektgeräte. – Fotos: Gerd Spranger

Seine musikalischen Talente entwickelte er in seiner Kindheit und Jugend in der Trachtenkapelle in Anger-Höglwörth und im Quintett „Höglwörther Buam“. Gebürtig ist er vom Högl, wo seine Familie über Generationen hinweg einen Bauernhof betreibt. Seine Musikerkarriere als Alleinunterhalter startete er im Jahr 1969. „Ich spielte das ganze Jahr durch ohne Urlaube, täglich sechs Stunden, und meist bis weit in die Nacht hinein. Nur im Dezember nahm ich mir eine zweiwöchige Pause“, erzählt er und betont: „Es ist mir nicht schwer gefallen, ich konnte mit dem Publikum immer interagieren“, und meint damit, dass er es als Alleinunterhalter verstand, sein Publikum mitzureißen. „Nicht immer die Perfektion zählt, sondern die Stimmung muss passen und dafür braucht es immer ein gewisses Gespür für die Gäste und natürlich die Wahl der richtigen Titel.“ Für Martin Koch ist die Musik bis heute seine große Leidenschaft.

Hochkonjunktur des Deutschen Schlagers

Gespielt wurde in jenen Jahren hauptsächlich der deutsche Schlager, der zu jener Zeit eine Hochkonjunktur erlebte. Martin spielte und sang zudem noch Wiener Lieder, G’stanzl und zwischendurch hielten „ruhige Schleicher“ das Publikum bei Laune. In seinen ersten Jahren trat er im Reichenhaller Heustadel, in den Winzerstuben des Kurhauses und in der Klosterklause auf. Eine Wintersaison spielte er in Reit im Winkl, häufig auch in Berchtesgaden und eine Saison auf der Nordseeinsel Borkum, wo der Gastronom Österreicher einen Zweigbetrieb des Bad Reichenhaller Tanzlokals Heustadel eröffnete.

Die Einladung zum Tanz

„Es war eine ganz andere Zeit damals“, erinnert sich Martin. „Von den vielen Tanzlokalen ist auch ohne die Corona-Pandemie keins mehr geblieben. An Namen wie Meran, Winzerstuben im Kurhaus, Azteka, White Horse, Enzianstüberl oder Schroffen erinnert sich heute nur noch die ältere Generation. Manche Namen wie Klosterklause, Salzburger Hof, Kammererbräu, Kurcafé oder das Axelstüberl sind geblieben, doch Livemusik oder die Einladung zum Tanz sind die Ausnahme.

Martin Koch in seinen jungen Jahren und ein Blick in das ehemalige Lokal Heustadl am Kaiserplatz.

Um die Dynamik jener Zeit zu verstehen, muss man die großen Veranstaltungen im Staatlichen Kurhaus mit einbeziehen. Es war mit „prallem Leben“ erfüllt und internationale bekannte Bands und Ensembles wechselten sich wöchentlich ab wie etwa: Hugo Strasser, Egerländer Musikanten, Original Oberkrainer, Max Greger und ebenso bekannte Unterhalter und Musiker wie Iwan Rebroff, Roy Black, Franzl Lang, Maria Hellwig, Roberto Blanko, Hermann Prey und viele andere mehr. Martin Koch erinnert sich:

Dicke Autos und große Namen
Martin Koch vor alten Plakaten mit ihm als Alleinunterhalter und seine Kinder Martin und Renate, die ebenfalls bei bekannten Musikgruppen aktiv waren.

„Es fuhren die großen und teuren Autos vor, wie Lamborghinis, Rolls-Royce, Porsches und schwere Mercedes und BMW. Der Parkplatz war meist voll belegt. Es lag wohl auch daran, dass bis zum Bau des Kurgastzentrums auch das Spielcasino im Kurhaus integriert war.“

Martin Koch vor alten Plakaten mit ihm als Alleinunterhalter und seine Kinder Martin und Renate, die ebenfalls bei bekannten Musikgruppen aktiv waren.

Froh ist Martin bis heute im Salzburger Musikschulwerk, dass dem Mozarteum angegliedert ist, eine Gesangsausbildung gemacht zu haben. „Die Stimme muss für Auftritte bis zu sechs Stunden lang gehalten werden. Davor helfen Übungen zur Lockerung der Stimmbänder“, verrät er. Damals hatte man sich richtig ‚fein gemacht‘, das Tragen einer Krawatte etwa war in manchen Lokalen obligatorisch, es gab an der Garderobe auch immer welche zum Ausleihen. Mit Turnschuhen etwa fand man ebenfalls keinen Einlass. Die Damen machten sich im Kostüm oder im Dirndl zum Fortgehen fesch.

200 Titel im Repertoire

Die Abende begannen um 19.00 Uhr, manchmal wurde bereits am Nachmittag zum Tanztee geladen. „Die Kurgäste waren im Alter von 20 bis 70 Jahren und sie blieben bis zu vier Wochen, manche verlängerten noch um weitere zwei Wochen“, erinnert sich Martin. „Viele waren richtig tanzbegeistert, bereits nach dem ersten oder zweiten Lied war die Tanzfläche voll.“ Getanzt wurde alles. Ob Foxtrott, Tango, Wiener Walzer oder Tschatschatscha (Cha-Cha-Cha). Entsprechend groß war das Repertoire von Martin, wenn er mit seiner Akkordeonorgel aufspielte, mit der damals möglichen zusätzlichen Technik verstärkte und live gesungen hat. „In meinen besten Zeiten konnte ich an die 200 Titel auswendig spielen und singen, heute schaffe ich noch etwa 100, muss dafür aber viel üben,“ räumt er ein. Corona hat seinen Auftritten vor zwei Jahren ein jähes Ende gesetzt. „Wenn du ein gewisses Alter erreicht hast und nicht wöchentlich auftreten kannst, verlierst du manches. Um es auf Neudeutsch zu sagen: der Flow ist dann weg und es wird psychisch immer schwieriger, wieder hinein zu finden bei heute gestiegenen Ansprüchen“, bedauert er.

Ein eigenes Tonstudio

Die Karriere als Alleinunterhalter mit täglichen Auftritten beendete Martin 1980, als er ein eigenes Tonstudio gründete. Er war aber weiterhin mehrmals die Woche zu hören, etwa auf dem Berghof Schroffen, im Haus des Gastes in Bayerisch Gmain, im Kurcafè, im Luisenbad, wo er 15 Jahre lang aufspielte, ebenso wie zum Apress-Ski in Berchtesgaden-Oberau, im Café Waldluft in Berchtesgaden und 52 Jahren lang immer an Silvester, zu Hochzeiten, an Fasching und bei großen Familienfeiern.

Martin Koch mit seinem Hohner Knopfakkordeon

2003 übergab er das Tonstudio, das sich in den 25 Jahren seines Bestehens mehrfach gewandelt und gut entwickelt hatte, an seinen Sohn Martin junior, der es bis heute erfolgreich führt und erweitert hat. Auch hier unterlag die Zeit einem großen Wandel. „1979 gab es zwischen Salzburg und München nur wenige Studios für professionelle Aufnahmen. Es gab damals kaum Möglichkeiten für eine Ausbildung zum Tontechniker, ich habe mir das alles selbst beigebracht.

LPs, Kassetten und CDs

„Es war damals schon eine große Sache, eine eigene Kassettenproduktion zu betreiben“, erzählt er. „Das Gerät, eine Kasetten-Duplizieranlage, überspielte ein Band in 62-facher Geschwindigkeit auf Kopierplätze und ermöglichte eine Produktion von 120 bis 130 Stück in der Stunde. Für die Produktion von LP (Langspielplatten und Singles) fertigten wir Masterbänder (Mutterband), die dann in einem Presswerk in München oder Gütersloh auf Platte gebracht wurden. 2005 begann Martin Junior mit einer eigenen CD-Herstellungsanlage und eine kleine Druckwerkstatt für die Produktion der Cover. Größere CD-Aufträge wurden dann über das Sonypresswerk in Anif abgewickelt.

Tradition wird weiter geführt

Sein Sohn Martin führt die Tradition seines Vaters fort. Früh schon war er gemeinsam mit seiner Schwester Renate mit verschiedenen Musikgruppen bei Liveauftritten unterwegs. Heute ist Martin aktiv im Studio, hat dazu einen Musikalienhandel von Verstärkeranlagen, und auswärts sorgt er mit Beschallungstechnik, Licht- und Videoanlagen bei kleinen und großen Veranstaltungen für den richtigen Ton und gute Stimmung. In Coronazeiten wuchs das Geschäft für Kommunen und Schulen mit der Ausstattung von Bild-, Ton- und Übertragungstechnik – zum Glück – „denn leider wurden allein im letzten Jahr über 200 Veranstaltungen ersatzlos abgesagt“, bedauert er.

Anekdoten zur Unterhaltung

Eine heimliche Leidenschaft von Martin Koch Senior sind kleine Anekdoten und Witze, die er heute bei seinen Auftritten zum Besten gibt. „Früher passte es bei einem tanzfreudigen Publikum nicht so, doch im Laufe der Zeit habe ich etwas umgestellt“, erzählt er. Die Schlager von 1951 bis 1993 sind ihm bestens geläufig, aber auch aktuellere Titel wie „Eine Nacht mit Dir“, „Atemlos“, „Warum hast Du nicht Nein gesagt“, „Einen Stern der Deinen Namen trägt“. Und ältere Klassiker wie: „Aber Dich gibt’s nur einmal für mich“, Rote Lippen soll man Küssen“, „Griechischer Wein“, „Marmor Stein uns Eisen bricht“ oder „Blue Spanish Eyes“.

„Livemusik war mein Leben“

Für Martin Koch war es eine wunderschöne Zeit. „Die Livemusik war mein Leben“, bekennt er. Zudem „waren die Menschen geselliger, tanzfreudiger und aufgeschlossener für diese Art der Musik und Unterhaltung“. Es war auch eine Zeit ohne Computer, Privat-TV, Internet, Sozial-Media, Handy und Smartphone. Die Welt war damals vielleicht nicht besser, aber womöglich etwas gemütlicher. Ein Brief brauchte eben seine Zeit und die Dinge im Allgemeinen.

Die wilden Jahre von Bad Reichenhall und die Tanzlokale:

Tanzcafé Meran, täglich internationale Tanz- und Show-Kapelle – Tanzlokal Azteka, täglich im Hotel Bayerischer Hof mit Profi-Kapelle – Tanzcafe Bayerischer Hof, täglich Alleinunterhalter – Kurhaus Winzerstube, täglich Tanzmusik und Alleinunterhalter – Kurcafé am Kurpark, täglich Tanzmusik und Alleinunterhalter – Heustadl am Kaiserplatz, täglich Tanzmusik und Alleinunterhalter – Berghof Schroffen (Saal), in der Saison mit Tanzkapelle – Berghof Schroffen (Stüberl), täglich Alleinunterhalter für Tanz u Unterhaltung – Weinlokal Klosterklause, täglich mit Alleinunterhalter – Wettersteinkeller, täglich Alleinunterhalter für Tanz und Unterhaltung – White Horse, täglich Alleinunterhalter für Tanz und Unterhaltung – Kammererbräu, täglich Alleinunterhalter und Duos – Hotel Axelmannstein (Bar), täglich Pianomusik, teilw. Tanzkapelle im Saal – Hotel Axelmannstein (Stüberl), täglich Alleinunterhalter und Zithermusik – Hotel Luisenbad, mittwochs Alleinunterhalter, samstags Tanzkapelle – Weinlokal „s’Herzl“, täglich Pianospieler und Schrammelmusik – Weinlokal Enzianstüberl, täglich Alleinunterhalter, Harfenspieler – Wienerwald, täglich Alleinunterhalter mit echter Wiener Musik – Große Veranstaltungen im Kurhaus: Wahl der „Miss Kurgast“, Wahl der „Miss Rosenkönigin“, große Bälle und international bekannte Musiker, Künstler und Interpreten (siehe Bericht).

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