100 Jahre „Schlaraffia“ in Bad Reichenhall

Sind Schlaraffen eine den kulinarischen Genüssen verschriebene Fangemeinde oder gar ein Geheimbund, mögen sich viele fragen. Was verbirgt sich hinter diesem Zusammenschluss, der einen großen Uhu als Wappentier führt und sich in ritterlichen Spielen gerne Wortgefechte liefert. Überhaupt haben diese Ritter einen Drang zum Mittelalter, nennen ihre Vereinslokale Burgen und bezeichnen ihre regionalen Standorte als Reyche. In Bad Reichenhall beziehen sie sich auf den historischen Bezug zum Salz mit der Bezeichnung ‚Hala bavarica‘. Als Mutter, gemäß der Sprache der Schlaraffen, stand damals das Schlaraffia-Reych Juvavia (Salzburg) zur Seite und 30 Jahre nach ihrer Gründung „zeugte“ die Hala bavarica in Traunstein eine Tochter. Dort gründete sich unter ihrer Betreuung ein weiteres Reych, eine eigene Ortsvereinigung und nannte sich „Schlaraffia Truna bavariae“.

1859 in Prag gegründet

Das Wappen der „Hala bavarica“

Heute zählt der Schlaraffen-Verein Hala bavarica in Bad Reichenhall 41 Mitglieder, bayernweit sind es 1696 in 36 Reychen und deutschlandweit 5860 in 161 Reychen. Ihr Ursprung geht auf das Jahr 1859 zurück, als sich in Prag einige Männer zusammenfanden, um gegen den Adelsdünkel und das Estaiblishment eine eigene Gemeinschaft als „Schlaraffenland des Geistes“ zu gründen. Der Mensch als solcher, und vor allem der Geist des Menschen, sollte frei sein, frei zu sprechen und frei zu denken. In dieser, wie in heutiger Zeit ein nicht immer leichtes Unterfangen. Es waren darum vor allem Künstler, die sich zusammenfandnen. In Bad Reichenhall kamen neben den Künstlern schon Musiker, Ärzte und Gelehrte hinzu. „Und doch sind wir kein elitärer Verein, denn gesellschaftlicher Status zählt in unseren Reihen nicht, wir sind alle gleich, ganz egal aus welchen beruflichen oder gesellschaftlichen Hintergrund wir kommen,“ bekräftigt Dr. Christoph Werner, der gemeinsam mit Johannes Hofmann der „Schlaraffia Hala bavarica“ vorsteht. Als Bühne des Diskurses wählten die Gründer in Prag das Ritterspiel, wohl auch als Homage an gute alte Zeiten des ausgehenden romantischen Rittertums. Das Jahrzehnt zwischen 1850 und 1860 war noch von den Nachwirkungen des Prager Pfingstaufstandes im Juni 1848 geprägt, als sich tschechische Nationalisten gegen das Kaisertum Österreich erhoben. In vielen Regionen Europas hatten sich soziale, wirtschaftliche und politische Spannungen aufgebaut und entluden sich gewaltsam. Man musste mit der „Freiheit des Geistes“ zu jener Zeit also noch sehr vorsichtig umgehen.

Eine Kunstwelt des Mittelalters

Nicht umsonst ist die Narrenkappe in allen Wappen der örtlichen Zusammenschlüsse zu finden, denn Narren dürfen die Wahrheit sagen. Wenngleich Themen der Religion und Politik in den Reihen der Schlaraffen keinen Platz haben. Dr. Christoph Werner führt dazu aus: „Wir bewegen uns in den wöchentlichen Treffen in einer Kunstwelt und als Kulisse dient die Welt des Mittelalter, eine Ritterspiel-Persiflage. Es ist ein Raum für sich, ohne Arbeitsdruck, ohne aktuelle politische oder gesellschaftlich angespannte Themen, um zu sich selbst zu finden, sich zu verwirklichen. Humor mit einer guten Portion Selbstironie ist dabei der zentrale Punkt. Ein Humor, der wie ein goldener Ball durch den Raum fliegt und weiter gegeben wird, immer mit einem zwinkerndem Auge. Also ein Humor der über sich selbst lacht und nicht über andere.“ Dabei werden Freundschaften geknüpft und der Alltag für einen Moment lang ausgeblendet. Ernst und Komik verbinden sich, wenn die als Ritter verkleideten Schlaraffen, mit Schwertern aus Holz und Helmen aus Stoff in ihrem Vereinslokal, der Schlaraffenburg, zusammenkommen. Sie bekleiden dort dem höfischen Mittelalter entnommene Rollen.

Kunst, Freundschaft und Humor

Dementsprechend sind sie ein Männerverein und die Frauen sind nur zu besonderen Festen geladen, so auch zum 100. Stiftungsfest. Dr. Carl Schöpner, viele Jahre Vorstand der Reichenhaller Liedertafel, und sein Schwiegersohn Dr. Fritz Seufferheld, der selbst etliche lyrische und erzählerische Werke veröffentlichte, gründeten mit Rudolf Mayer, Besitzer des Fürstenbades, Eugen Otto (Königlich Bayerischer Bahninspektor) und dem Schauspieler Paul Hubl 1922 die Vereinigung „Schlaraffia Hala bavarica“ als Ableger des weltweiten Verbandes Allschlaraffia. Dass dieser freigeistige Zusammenschluss durchaus ernst genommen wurde, zeigt seine Auflösung durch das NS-Regime. Nach dem Krieg fand sich die Vereinigung auch in Bad Reichenhall wieder zusammen.

Es ist den Schlaraffen ein großes Anliegen, Kunst, Freundschaft und Humor bei ihren Treffen erleben und leben zu können und dabei bewährte Traditionen zu bewahren. Die Kunst ist heutzutage großteils eine Laienkunst in Wort und Musik, bei der es aber keine Denkgrenzen gibt. „Es ist uns eigentlich in die Wiege gelegt, denn Kunst geht immer mit der Zeit. Musik von heute etwa ist eine ganz andere wie die eines Gustav Mahler, der übrigens auch ein Schlaraffe war. Wir wollen offene Menschen aus allen gesellschaftlichen Kreisen einbinden.“

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