Mit vorgetäuschter Liebe um sämtliche Lebensersparnisse gebracht

Wir Menschen sehnen uns nach einem Gegenüber, einen Menschen, mit dem wir unsere Gefühle und Empfindungen teilen, ein gegenseitiges Verstehen in Harmonie und liebevoller Zuwendung. Kurzum: Wir sehnen uns nach Liebe. Selbst wenn wir ganz gut allein zurechtkommen, so bleibt doch tief in uns der Wunsch nach einer glücklichen und innigen Beziehung bestehen. Ein Lied davon singen zig-Partnerbörsen und täglich Millionen Chats auf der Suche nach dem Lieblingsmenschen.

Organisierte Kriminalität

Längst haben Organisationen mit mafiösen Strukturen diesen Markt für sich entdeckt, und es ist ein Millionengeschäft. Die Opfer sind meist Frauen, wie auch eine Betroffene im Landkreis, die alles auf die große Liebe setzte. Dabei ist Renate (Name geändert) eine selbständige, aktive Frau, die auch geschäftlich über 20 Jahre ihren eigenen Weg geht. Sie ist gebildet und hilft sogar anderen Menschen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung. Sie ist sozusagen eine Expertin auf dem Gebiet des Zwischenmenschlichen.

Eigenverantwortliches Handeln und die Liebe

Der ‚Weiße Ring‘ hilft Opfern in Not. Im Bild: Werner und Renate.

Strukturiertes und eigenverantwortliches Handeln ist eine Lebensmaxime von ihr. Ebenso der inneren Haltung mit Achtsamkeit zu begegnen. Und doch wurde sie ein Opfer von Romantic-Scamming, auch als Love-Scamming bekannt. Seit Wochen fragt sie sich täglich, wie konnte mir das passieren? Ihr Gefühl schwankt von Verzweiflung bis Wut und Ärger über die eigene Naivität. „Schämen allerdings tue ich mich dafür nicht, denn Gefühle der Liebe sind etwas Wunderbares“, ist sie sich bis heute sicher.

In dem Moment, als sich ihr der ganze Betrug offenbarte, „veränderte sich alles“, erzählt sie. „Mit unglaublich brutaler Gewalt kommt die Wahrheit wie ein mörderischer Schlag über all das Hoffen, die Freude, das Glücklichsein über mich. Ich war wie paralysiert, eiskalt erwischt, unsagbare Traurigkeit, peinigende Enttäuschung und unbeschreibliche Angst machten sich breit“, erzählt Renate.

Einfach nur ausgenutzt und betrogen

Im guten Glauben, ein geschäftliches Projekt zu unterstützen, nach Vorlage von Unterlagen und vielen Telefonaten, überwies sie dem Betrüger ihr komplett Erspartes, einen hohen fünfstelligen Betrag. Es sollte nur vorübergehend sein, ein kurzfristiges Darlehen. „Dennoch war es ein angstvolles Gefühl das Geld überwiesen zu haben“, erzählt sie. Trotz dokumentiertem Flugticket verschob sich die Ankunft des angeblichen Aiden London, Architekt aus Toronto, zweimal.

Mit vorgetäuschter Liebe um Erspartes gebracht

Argwohn machte sich breit, und nur durch einen Zufall stellte sich heraus dass der Betrüger eine falsche Identität angenommen hatte, nämlich die eines Musikers aus den USA. Die innere Stimme der Vernunft bahnte sich langsam wieder einen Weg bei Renate. Sie ging zur Polizei, hatte auf einen USB-Stick alle Chatverläufe festgehalten. Über 600 eng beschriebene A4-Seiten, ihr Beziehungsprotokoll, alle Bescheinigungen und Rechnungen über vier Monate hinweg.

Die Einsicht, auf einen Betrüger hereingefallen zu sein, fällt Renate nach Wochen noch unglaublich schwer. „Das Unverständnis über meine eigenen Handlungen wird noch lange mein Begleiter sein“, gesteht sie. „Die Enttäuschung, Traurigkeit und Wut wiegen schwer.“ Sie ist sich sicher, das Geld niemals wieder zu bekommen. Es war ihre gesamte Altersrücklage. Jetzt wird es eng, selbst mit den festen laufenden Ausgaben. Wie aber konnte es so weit kommen? Wie konnte sich eine gebildete Frau in den besten Jahren so einwickeln lassen?

Glücksrausch endet im Desaster

Renate beschreibt es rückblickend so: „Unbemerkt schob der Höhenflug meiner Gefühle, wie eine langsam aber kontinuierliche Betäubung, die Vernunft zur Seite.“ Der Glücksrausch, endlich die große Liebe gefunden zu haben, überwog. Dreimal täglich wurde Monate lang gechattet und telefoniert. „Ja, ich schwamm in einem Rausch der Sinne, es fühlte sich alles so wunderbar an. Jeden Tag neue wundervolle Gefühle und Gedanken, das kann man nicht vorspielen.“ Sie war im Netz des Betruges gefangen.

Mit jedem Tag, mit jeder Woche die vergeht, wird ihr das ganze Ausmaß dieses perfiden kriminellen Betrugs bewusster. „Wie konnte so etwas mein Denken ausblenden“, fragt sie sich immer wieder. Dazu breitet sich in ihr unsagbare Traurigkeit aus. Peinigende Enttäuschung und eine nicht greifbare Angst. „Mein Herz war völlig ausgebrannt, es explodierte innerlich“, beschreibt sie ihre Gefühle. Auf die vielen „Warum ich“ findet sie bis heute keine Antwort. Sie ist innerlich wie gelähmt, „meine Gedanken bewegten sich wie Blei, schleppend und schwer“, erzählt sie.

Woher die Kraft nehmen?

Sich aus diesem Zustand heraus zu arbeiten, erfordert viel Kraft. Sie war es eigentlich gewöhnt, immer nach vorne zu sehen, weiter zu gehen. Diese ‚Kämpfernatur‘ half ihr auch jetzt wieder. Zusätzliche Hilfe suchte sie bei der Organisation „Weisser Ring“, den sie aus früheren Jahren bereits kannte, als ihre Mutter Opfer eines Überfalls wurde. Zunächst einmal ging es ihr erst einmal ‚ums Reden‘, mit jemandem vertrauensvoll über das Erlebte sprechen zu können.

Renate war erst vor zwei Jahren nach Bayern gezogen, und dann hatten alle Corona-Maßnahmen sie nicht nur um den Start ihrer Selbständigkeit gebracht, sondern auch um die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen. Sie war also sehr dankbar beim Weißen Ring schnelle Hilfe zu finden. „Ja, die Corona-Beschränkungen hatten mich mehr in die Einsamkeit geführt, als ich mir eingestehen wollte. Sie haben das Feld für den Liebes-Betrug unmerklich vorbereitet“, ist sich Renate heute sicher.

„Es hätte nicht passieren dürfen“

Eigentlich hätte gar nicht passieren dürfen, was passiert ist. Beruflich coacht sie Menschen darauf, die eigene Achtsamkeit zu sensibilisieren, um selbstbestimmt und eigenverantwortlich handeln zu können. Für sie ist es Voraussetzung für ein strukturiertes, klügeres, zielorientiertes Dasein. Doch das Leben schreibt eigene Geschichten, und starke Gefühle gewinnen zeitweise die Oberhand.

Der ‚Weisse Ring‘ kennt viele ähnliche Schicksale. Er hilft auch Opfern anderer Straftaten wie etwa bei häuslicher Gewalt, sexuellen Übergriffen, Stalking oder Einbruch. Interessent*innen für eine ehrenamtliche Mitarbeit beim Weissen Ring können sich ebenso gerne melden.

Kontakt (BGL): Telefon: 0151/55164737 oder wr-bgl@web.de

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