Kliniken im Verbund mit neuen Aufgaben

In seiner jüngsten Sitzung entschied sich der Kreistag für den neuen Klinikstandort in Bad Reichenhall. Die Zusammenführung der Kliniken im Berchtesgadener Land und im Landkreis Traunstein vor 20 Jahren leitete die richtige Entwicklung ein, „dabei war die Situation in den ersten Jahren teilweise desaströs“, bekennt Aufsichtsratsvorsitzender der KSOB (Kliniken Südostbayern AG), Dr. Uwe Gretscher.

Aufsichtsratsvorsitzender der KSOB, Dr. Uwe Gretscher

Seit 2019 sei man auf einen guten Weg innerhalb des Klinikverbundes, deren beiden Gesellschafter die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land sind, und man genieße deutschlandweit einen guten Ruf. Es sei aber ein Irrtum zu glauben, so der Arzt und Krankenhausbetriebswirt, „dass man überall alles vorhalten kann und noch dazu in hoher Qualität allen Anforderungen entsprechend.“ Für Dr. Gretscher gelte es darum, „den Blick weiter nach vorne in die Zukunft zur richten und nicht zu sehr am Vergangenen festzuhalten.“

Weitere Reduzierung
in Freilassing und Berchtesgaden

Diese Einsicht ist nicht ganz neu, blickt man auf das reduzierte Leistungsspektrum der Kliniken in Berchtesgaden und Freilassing. Und die Entwicklung soll weitergehen, denn der künftige Klinik-Campus in Bad Reichenhall werde mit seiner geplanten Fertigstellung im Jahr 2028 für den Landkreis eine noch zentralere Rolle einnehmen. Die Kreisklinik Berchtesgaden soll dann nur noch die Bereiche „ästhetische Chirugie, Sportmedizin, Prävention und Komfortbereich“ abdecken. 2,52 Millionen Euro will die KSOB in den Standort investieren. In die Kreisklinik Freilassing sollen die nächsten Jahre 1,4 Millionen investiert werden. Als ein Gesundheitscampus mit einem breiten ambulant-medizinischen Angebot und als geriatrische Tagesklinik wird am Standort festgehalten. In Traunstein sind Investitionen von 230 Millionen und in Bad Reichenhall 185 Millionen Euro veranschlagt. Das bedeutet aber auch, dass es nach dem Konzept der KSOB im Landkreis nur noch in Bad Reichenhall eine Akut- und Notfallversorgung geben soll.

Wiese, Skaterplatz, Fußballfeld, Sandplatz, Spielplatz, Wohmobil-Stellplatz und der eingezäunte „Bolzplatz“ sollen einem neuen Klinikum weichen, direkt an der Saalach.

KSOB-Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Uwe Gretscher erläutert den Kreisräten viele Gründe für diesen für ihn notwendigen wirtschaftlichen Schritt. Die Altersstruktur innerhalb des Berchtesgadener Landes allein schon begünstige den zentralen Standort in Bad Reichenhall. Zudem sei die Gewinnung von Ärzten und Fachkräften zur Aufrechterhaltung der Leistungen immer schwieriger. „Bis 2030 wird auch die Generation der Babyboomer in Rente gegangen sein, das sind 30 Prozent der rund 4000 Beschäftigten von heute,“ so Dr. Gretscher. Es sei gerade die gute Aufteilung und Zusammenarbeit der Kliniken untereinander, die den Verbund die letzten Jahre auf die Erfolgsschiene gebracht habe. Hilfe holte sich die KSOB für die Fortschreibung dieses Prozesses von der OptiMedis AG aus Hamburg. Das Unternehmen stellt an sich selbst den Anspruch, „durch gesundheits-wissenschaftlich fundierte Interventionen, eine enge Vernetzung der Ärzte und Therapeuten und die Motivation der Patienten zu verbessern.“ Darüber hinaus stärke man „den Gesundheitszustand der Bevölkerung und schafft einen Gesundheitsnutzen für die ganze Region. Gleichzeitig senken wir die Ausgaben der Krankenkassen“, so das Versprechen.

Mit dem roten Dach der alte „Schachnerbau“, heute ein BRK-Haus, steht unter Denkmalschutz. Die Zukunft der Klinikgebäude ist ungewiss.

Dr. Uwe Gretscher sprach von der Gesundheitsregion und will die Vernetzung aller Leistungsträger optimieren, besonders hin zu den niedergelassenen Ärzten. „Qualität und Leistung müssen gesichert werden. Dazu werden wir auch alle Möglichkeiten der Ambulantisierung ausschöpfen, die in ihrer Bedeutung noch weiter wachsen wird.“ Traunstein ist im Verbund das Klinikum mit der zentralen Schwerpunktversorgung der Stufe eins, Bad Reichenhall der zweiten Stufe. „Wir haben es geschafft, mitten in der Pandemie unsere Zentren zu zertifizierten und dabei werden nicht nur die medizinischen Leistungen, sondern alle Betriebsprozesse genauestens geprüft. Damit gehören wir zu den herausragenden zehn Prozent der Kliniken in Deutschland“, hebt der Vorstandsvorsitzende die Bedeutung hervor. So sei etwa der Bereich der Digitalisierung weit fortgeschritten und es komme modernste Technik und Software zum Einsatz, „insgesamt 250 Softwareprodukte und die Systeme kommunizieren miteinander.“ Die Entwicklung werde dabei nicht stehenbleiben, die „Robotik wird in den Kliniken kommen und vieles wird sich im digitalen Bereich, also in der Telemedizin, entwickeln“, so der Mediziner und geht noch einen Schritt weiter: „Die Fehlerquelle ist immer der Mensch. Digitalisierte Prozesse werden darum zur Verbesserung beitragen.“

Notfälle und eine Stunde Fahrzeit?

Bei allem Fortschritt aber bleibt die Notfallversorgung existentiell und die soll zentral in Bad Reichenhall erfolgen. Freilassing und Berchtesgaden trage nicht wesentlich zur Notfallversorgung bei, „und dennoch wird dort alles vorgehalten“, gibt er zu bedenken. Mit Bad Reichenhall und Bayerisch Gmain verzeichnete man 2020 im nördlichen Landkreis 5660 und im inneren Landkreis 1660 Notfälle. „Zudem seien sowohl Berchtesgaden, wie auch Freilassing in zwanzig Minuten erreichbar,“ argumentiert er. Dabei dürfte die einfache Fahrzeit für Marktschellenberg und Laufen deutlich darüber liegen, ebenso bei winterlichen Straßenverhältnissen. Die Kreisräte bekräftigten zwar die notwendige Konzentration der klinischen Leistungen sehen die Fortschreibung der Zentralisierung aber auch als einen gesellschaftlich relevanten Prozess, der noch viel Gesprächsbedarf mit sich bringe.

Kreisräte nehmen Stellung

Landrat Bernhard Kern kommentierte die Entwicklung mit den Worten: „Wir sind froh, dass wir uns so früh neu aufgestellt, professionalisiert und verändert haben, bevor wir am Alten verharren und von außen verändert werden.“

Dr. Bernhard Reichelt (Grüne) erinnerte an ein altes Gutachten der Bertelsmann-Stiftung. „Darin hatte man gefordert, 800 Kliniken zu schließen. Heute wissen wir, wie wichtig auch kleine Häuser sind. Bereits 2008 reduzierten wir das Angebot in Berchtesgaden und Freilassing stark“, und das gestalte sich bei der Notfallversorgung schwierig. Zudem wiege die Belastung durch die Corona-Pandemie schwer und die neue Omikron-Variant werde als wesentlich virulenter eingeschätzt.

Hans Metzenleitner (SPD) freut sich über die frühzeitig angestoßene Entwicklung des Verbundes. „Es wurden Schwerpunkte gesetzt und eine Spezialisierung erreicht. Dabei ist ein medizinisches Konzept kein Wunschkonzert, die Vorgaben der Kassen und die Finanzierbarkeit setzen Grenzen.

Dr. Barholomäus Wimmer (Grüne) sieht in der Schließung „der Inneren“ in Berchtesgaden auch eine politische Botschaft, mit der man sich befassen müsse. Dabei aber würde eine ausufernde öffentliche Diskussion nicht hilfreich sein.

Dr. Uwe Gretscher hakte nach, indem er darauf verwies, dass auch die Diagnostik im Bereich der Geriatrie ein Teil der inneren Medizin sei und die würde in Berchtesgaden verbleiben. „Auch Diagnostik braucht ärztliche Begleitung.“

Auch Kreisrat Georg Wetzelsperger (CSU) hebt die Neuausrichtung der Kliniken im neuen KSOB-Verbund positiv hervor. Es sei „ein seit langem bestehendes Anliegen der Alzheimer Gesellschaft, den Bereich der Diagnostik in der Geriatrie zu stärken.“ Ebenso begrüßte er den Ausbau ambulanter Leistungen für eine integrierte Versorgungslandschaft in der Region zur Gesunderhaltung der Bevölkerung. „Es ist gut, die Kliniken in kommunaler Trägerschaft führen zu können, bevor ein multinationaler Konzern die finanziellen Mittel abgreift.“

Michael Koller (FW) richtete seinen Dank an Dr. Uwe Gretscher für die umfassenden und vertiefenden Informationen. Nach Kenntnisnahme durch den Kreistag müsse man jetzt daran arbeiten, die Interessen der Bevölkerung einzubringen. Vor allem gelte es Ängste zu nehmen, vor allem im Bereich der Notfallversorgung. „Wir haben in Berchtesgaden mit den Gefahren am Berg und dem Tourismus zu tun. Es ist dann schon eine Frage, wie lange Notärzte auf der Strecke sind und wie viele vor Ort zur Verfügung stehen. Es geht um eine ganzheitliche Betrachtung. Es kann nicht sein, dass man bei einer Platzwunde auf dem Pausenhof zur medizinischen Versorgung erst nach Bad Reichenhall fahren müsse. Die angesprochenen Veränderungen sind gravierend.“ Er verstehe die Präsentation von Dr. Uwe Gretscher zur Zukunft der KSOB als Startschuss einer Debatte die geführt werden müsse.

Manfred Hofmeister (BLR) schloss sich diesem Ansinnen an und hakte nach: „Wie stark sind die Vorgaben und Reglementierungen. Es geht um die menschliche Daseinsvorsorge. Wie sehr müssen wir monitären Zwängen und Vorgaben nachgeben“, fragt er. Man müsse nachdenken, „auch Präsenz in der Fläche zu erbringen, selbst wenn es sich nicht immer rechnet. Die Gesellschaft und Politik sind gefordert.“

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